Der Herr der Flugzeuge (1975/76)

Nachdem ich meine Ausbildung in USA beendet hatte, trat ich Ende August 1975 meinen Dienst in der 1. Staffel des Aufklärungsgeschwaders 52 an. Aus irgendeinem Grund war ich der Meinung, dass ich als „fertiger“ Pilot sogleich ohne weitere Umstände am Flugbetrieb der Staffel teilnehmen könnte. Diese Annahme erwies sich leider als Irrtum, denn zunächst musste ich ein ähnliches – wenn auch verkürztes – Programm mit Fluglehrer wie bei der Erstausbildung in Shaw absolvieren. Immerhin hatte das den Vorteil, dass ich relativ regelmäßig zum Fliegen kam. Mit Abschluss dieser „Europäisierung“ bekam ich den Colour State „Green“ zugeteilt, d.h. ich durfte starten und landen, wenn die Wolkenuntergrenze bei mindestens 700 Fuß lag und die Bodensicht 3,7 km betrug. Derart günstige Wetterbedingungen waren allerdings im nordfriesischen Winter eher selten, was dazu führte, dass die „alten Säcke“ alle flogen, während ich am Boden verkümmerte. Als Beschäftigungstherapie bekam ich den Nebenjob als der Schiffserkenner der Staffel, eine Aufgabe, die angesichts der vielen Seetiefflugeinsätze des Geschwaders über der Ostsee nicht ganz trivial war. Und so lernte ich Tag für Tag die von den Marinen des Warschauer Pakts verwendeten Schiffstypen anhand bestimmter Merkmale voneinander zu unterscheiden und versuchte, dies auch meinen Staffelkameraden zu vermitteln. Manche prägnanten Beschreibungen wie „Mirka-Mast-Mitte“ habe ich bis heute nicht vergessen. Aber ich war ja nicht zur Luftwaffe gegangen, um Schiffe voneinander unterscheiden zu können, sondern weil ich fliegen wollte, und zwar möglichst viel und oft! Und so hoffte ich jeden Morgen beim Briefing auf Wetterbedingungen, welche auch mir frei nach Reinhard May ein Stückchen Freiheit über den Wolken zukommen lassen würden.

Gute Wetterbedingungen allein genügten jedoch nicht, denn der Herr über Fliegen und Nichtfliegen war der Einsatzoffizier, welcher in einem Zimmer mit Fenster und Tresen zum Lichthof residierte. Meine Überzeugung, dass ich auf jeden Fall fliegen musste, wenn das Wetter ausnahmsweise einmal kooperierte, wurde von diesem nicht immer geteilt und ich fand meinen Namen dementsprechend dann trotz allen Suchens nicht auf dem täglichen Flugplan. Das empfand ich als himmelschreiende Ungerechtigkeit und ließ deshalb nichts unversucht, um den Einsatzoffizier zur Korrektur seines offensichtlichen Fehlers zu veranlassen.

Einsatzoffiziere haben auch Namen, und der, von dem ich mich besonders ungerecht behandelt fühlte, war ein gewisser Hauptmann Back. Hauptmann Back war eine respekteinflößende Erscheinung mit tiefer, kräftiger Stimme. Er war in seiner Funktion als Einsatzoffizier nicht zu Scherzen aufgelegt und zeichnete sich leider auch nicht durch ein inniges Verständnis für die Anliegen von jungen Fliegerkameraden aus. Mein beständiges Herumlungern am Einsatztresen in der Hoffnung, dass die Technik vielleicht doch noch ein extra Flugzeug gefunden hatte, oder dass vielleicht ein anderer Pilot plötzlich krank geworden war, empfand er ganz offensichtlich als ziemlich lästig.

Umso mehr war ich angenehm überrascht, als er mich aufforderte, in sein Allerheiligstes zu kommen; dorthin, wo über Fliegen oder Nichtfliegen entschieden wurde. In mir keimte Hoffnung; vielleicht hatte er ja eingesehen, dass ich recht hatte und wollte mir persönlich die frohe Nachricht – dass ich fliegen durfte – überbringen.

Anstatt dessen hielt er ein himmelblaues Stück Löschpapier in der Hand und überreichte es mir mit den Worten: „Herr Leutnant, Sie nehmen jetzt dieses Stück Papier, gehen nach draußen und erscheinen erst dann wieder am Einsatztresen, wenn der Himmel die gleiche Farbe wie das Papier hat. Haben Sie das verstanden?!“

Jawohl Herr Hauptmann! Hätte ich damals gewusst, dass er einmal Inspekteur der Luftwaffe werden und es sogar zum 4-Sterne General bringen würde hätte ich mir das blaue Papier gewiss als Andenken behalten. Aber ahnen können hätte man es schon damals.

von Jürgen Erbeck

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